An der Stelle der heutigen evangelischen Stadtpfarrkirche stand bereits im Mittelalter eine dem Heiligen Jobst geweihte Kapelle. Jobst – auch als Jodok(us) oder Jost bekannt – war ein Einsiedler, der im 7. Jahrhundert n. Chr. im heutigen Nordfrankreich lebte und neben Jakobus dem Älteren zu einem Patron der Pilger wurde, sodass es bis heute entlang von alten Pilgerstraßen Sakralbauten dieser Heiligen gibt.
Da die heutige Pfarrkirche immer noch Elemente aus dem Spätmittelalter enthält, ist sie trotz aller Umbauten das älteste Bauwerk der Stadt. Aus vorreformatorischer Zeit stammt der Grundriss der Kirche mit dem spätgotischen Chorraum (auch Apsis genannt) sowie dem Turm an der nördlichen und der Marienkapelle (heute Taufkapelle) an der südlichen Längsseite.
Die Ausrichtung des Kirchengebäudes nach Osten symbolisiert die Wendung nach Jerusalem als biblischen Ort der Auferstehung und Wiederkunft Jesu Christi. Spätmittelalterlich sind zudem das Turmportal mit dem steinernen Christuskopf sowie das aus Granit gehauene Sakramentshäuschen in der Apsis. Aus dem Jahr 1497 existiert auch noch die beschriftete Grabplatte des ersten Rehauer Pfarrers Hans Pehr.
Die älteste Inschrift an der Pfarrkirche und überhaupt an einem Rehauer Gebäude ist die Jahreszahl 1607, als der Turm aufgestockt wurde.
Anstelle des bisherigen pyramidenförmigen Daches bekam der Turm eine glockenförmig geschweifte Haube (sog. welsche Haube). Aus dem 17. Jahrhundert ist zudem noch der Grabstein des Pfarrers Friedrich Wohn im Chorraum erhalten, aus dem 18. Jahrhundert stammt der Grabstein des Pfarrers Andreas Benker.
1763 verwüstete erstmals ein verheerender Brand große Teile Rehaus. Auch die Pfarrkirche war davon betroffen. Die Instandsetzung des Gotteshauses fiel in die Amtszeit Erhard Friedrich Vogels von 1775 bis 1788.
Der Brand vom 6. September 1817 war noch folgenschwerer als der vorherige und zog die gesamte, inzwischen bayerisch gewordene Stadt einschließlich der Pfarrkirche in Mitleidenschaft. Mit dem Pfarrhaus, das sich bis dato im Bereich des heutigen Maxplatzes befand, verbrannten auch etliche unersetzliche Kirchenbücher. Der damalige Pfarrer Johann Christian Wirth war mit dem Wiederaufbau überfordert und verließ ein halbes Jahr später die Gemeinde.
Beim schachbrettartigen Wiederaufbau der Stadt bis 1824 wurde auch die Pfarrkirche einbezogen. Sie bekam einen schlichten klassizistischen Innenraum ohne Schmuck und Bildwerk sowie eine bayerisch anmutende Zwiebelhaube. Das Hauptschiff mit der Doppelempore erhielt seine im Wesentlichen bis heute existierende Gestalt, während der östliche Teil der Kirche noch mehrmals einschneidende Veränderungen erfuhr. Weil man den Formen der Antike entsprechend ein rechteckiges Kirchenschiff herzustellen versuchte, wurde der Chorraum durch eine hölzerne, von einem Kanzelaltar dominierte Querwand abgetrennt. Mit dem Kanzelaltar wurde auf das Konzept der Markgrafenkirchen zurückgegriffen, das für das frühere Doppel-Fürstentum Ansbach-Bayreuth charakteristisch war und auch im Nachbarort Regnitzlosau anzutreffen ist. Die Entwicklung des Kanzelaltars war der gelungene Versuch, einer der wichtigsten Neuerungen der protestantischen Lehre eine äußere Gestalt zu geben: Die Predigt und damit das Wort der Heiligen Schrift befindet sich im Zentrum des Gottesdienstes. Das Wort Gottes steht damit für alle sichtbar über der Vergegenwärtigung des Heilsgeschehens im Sakrament.
Innere Umgestaltung nach dem Geschmack des 19. Jahrhunderts
Es war Pfarrer Johann Simon Keppel, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Blick des Gottesdienstbesuchers auf die schmucklose Altarwand nicht mehr für angemessen hielt und ein eher verspieltes, neugotisches Interieur schaffen lassen wollte
Keppel war davon überzeugt, dass eine mangelnde Ästhetik des Kirchenraumes dem geistlichen Auftrag des Pfarrers entgegenarbeiten würde, weshalb er eine Verschönerung für dringend geboten hielt: „Obwohl die Andacht etwas Inneres und Geistiges, so ist es doch eine Thatsache, daß die Stimmung eines Christen eine gehobene wird, wenn der Tempel, in dem seine Gebete zum Allerhöchsten emporsteigen, auch ein seinem Dienste entsprechendes Äußeres darbietet. In dieser Beziehung wird aber kein ärmlicheres Gotteshaus in einer Stadtgemeinde gefunden werden als hier in Rehau.“ Mit der 1873 erworbenen Orgel war Keppels Renovierung der Pfarrkirche abgeschlossen. Der Blick in die Apsis war wieder frei; der neugotische Hochaltar sollte mit seinen Anleihen an den Stil der Renaissance an die Reformationszeit erinnern, wohingegen das Verschwinden des Kanzelaltars der neu aufgekommenen Abendmahlsfrömmigkeit entsprach: Der Altar rückte in den Mittelpunkt, die Kanzel an die Seite. Das Altargemälde stellte eine lebensgroße Jesusfigur im Nazarenerstil dar und betonte damit Christus als das Zentrum des Gottesdienstgeschehens.
Andere Zeit, andere Ideen
1926 war unter Pfarrer Alexander Haaß erneut eine Renovierung der Pfarrkirche nötig geworden, bei der man weitere klassizistische Baubestandteile durch gotisierende Elemente verdrängte.
Anstelle des bisherigen Westportals, das an einen antiken Tempel erinnerte, wurde der bis heute existierende wuchtige Vorbau errichtet. Um dem Chorraum ein noch gotischeres Aussehen zu geben, zog man anstelle der flachen Decke ein künstliches Gewölbe ein. Darüber hinaus wurde das Altargemälde entfernt und stattdessen eine Kanzel angebracht, in der Bilder von den vier Evangelisten eingearbeitet waren; diese Gemälde hängen derzeit in der Taufkapelle. Mit der neuen Kanzel knüpfte man an den Kanzelaltar der 1820er Jahre an, wobei die räumliche Distanz zwischen Prediger und Gemeinde jetzt unnatürlich groß geworden war.
Der heutige Stand
In die Amtszeit von Pfarrer Adolf Müller fiel 1970 nicht nur der erste ökumenische Gottesdienst, sondern auch die bisher letzte Umgestaltung der Pfarrkirche im Jahr 1966.
Das theologische Programm, das hinter dem neugotischen Erscheinungsbild des Chorraums stand, erschien nicht mehr zeitgemäß in einem gesellschaftlichen Klima, in dem man „den Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“ – wie die Studentenbewegung zu reimen pflegte – zu beseitigen suchte. Das künstliche Gewölbe des Chorraums wurde nach nur 40 Jahren durch eine Kassettendecke ersetzt, die der klassizistischen Decke des Hauptschiffes leider nicht ganz gleicht. Die neue Kanzel befand sich wie ihre unmittelbare Vorgängerin an der Rückseite der Apsis, wodurch die problematische Distanz zwischen Prediger und Gemeinde beibehalten wurde. Die neue Altarrückwand, das Retabel, unterschied sich von allem bisher Dagewesenen, wenngleich das Bildprogramm – Christus und die vier Evangelisten – bereits bekannter Symbolik folgte.
Die Absicht dieser Kirchenrenovierung bestand darin, dem Chorraum ein Erscheinungsbild zu geben, das besser als die neugotische Ausgestaltung zum Kirchenschiff passen sollte. Gleichwohl ist das Retabel einschließlich der Farbgebung zu sehr den Vorstellungen der 60er Jahre verhaftet, um als bloße Fortführung des Klassizismus des frühen 19. Jahrhunderts zu gelten. Leider führte die neue Altarrückwand dazu, dass ein Fenster der Apsis zugemauert werden musste. Als besonders gelungen kann allerdings die Versetzung des Altartischs, der Mensa, in die Mitte des Chorraums gelten. In ökumenischer Offenheit wird dadurch dem Abendmahlssakrament eine größere Bedeutung verliehen, was die zum Altar führenden Stufen zusätzlich betonen. Die Mensa ist nicht ein an der Wand stehender Ablage-Tisch, sondern greift in ihrer Symbolkraft auf den biblischen Opferaltar zurück, auf dem sich Christus als das „Lamm Gottes“ dahingab, um die Welt zu erlösen. Während das Kreuz für Jesu einmaligen Erlösungstod steht, weist die Altarmensa, auf der das Abendmahl bereitet wird, auf die stets notwendige Vergegenwärtigung dieses Heilsgeschehens hin.
1966 vermochte die Kirchengemeinde dem Wunsch des Landesamtes für Denkmalpflege nicht zu entsprechen, das große klassizistische Westportal der 1820er Jahre wiederherzustellen. Man wollte aus praktischen Gründen den Vorbau nicht aufgeben. Gleichwohl bilden Portale dieser Art das architektonische Hauptmerkmal der nach 1817 wieder aufgebauten Stadt Rehau.
Schlussbemerkung
Während historische Kirchenbauten dadurch in den Rang einer Sehenswürdigkeit aufsteigen, dass sie von einer bestimmten Geschichts- und Kunstepoche dominiert werden, besteht das Besondere der Rehauer Pfarrkirche darin, dass sie seit dem Mittelalter und vor allem seit dem Brand von 1817 laufend Umgestaltungen erfuhr.
Da hinter sakraler Kunst und Architektur auch immer ein theologisches Programm steht, gleicht die Entwicklungshistorie der Pfarrkirche einem Durchlauf durch die Geschichte des christlichen Glaubens, insbesondere der letzten zwei Jahrhunderte. So stimmt z.B. die jeweilige Zuordnung von Kanzel und Altarmensa, bei der einmal die Kanzel und ein anderes Mal die Mensa in den Mittelpunkt rückt, mit der Spiritualität der jeweiligen Zeit überein. Die Betonung der Kanzel steht für Bibelstudium und Rationalität; es wird vom Kopf her geglaubt. Die Hervorhebung der Altarmensa verweist dagegen auf Sakramentsfrömmigkeit und Emotionalität; es wird vom Bauch her geglaubt. Dass die Lösung von 1966 gleichermaßen beides fokussiert, mag als ein Versuch gedeutet werden, die bisherigen Gegensätze miteinander auszusöhnen.
Geschichtliche Daten wurden dem Buch von Hans Höllerich: „Geschichte der Kirche und Pfarrei Rehau“, Rehau, 1970, entnommen.
Einige Textpassagen gehen zurück auf Gerhard Gronauer, Pfarrer in Rehau von 2006 bis 2009